Freitag, 10. Oktober 2008

Westafrika-reisen



„Nur wenig Gepäck ist gutes Gepäck“

Mit dem Fahrrad von Südspanien bis nach Gambia sowie Guinea-Bissau und Guinea – Steigungen als Lustfaktor

Ob sie noch auf dem Speicher liegen? Oder in der großen Bücherkiste im Schuppen, gleich neben „Wildtöter“, „Lederstrumpf“ oder Fritz Otto Buschs „Strandung vor Borkum“? Ich weiß es nicht, will jetzt auch nicht danach suchen. Gegenwärtig ist mir nur die Faszination, mit der ich diese Schneider-Bücher in den frühen 1960er Jahre verschlungen habe: Walter Hamanns Reise mit dem Fahrrad um die Welt, aufgezeichnet in vier Büchern, von denen schon das erste – „Jeder Tag ein Abenteuer. Von Mühlheim nach Karatschi“ – reichte, um den Jungen aus der hessischen Provinz restlos zu begeistern.

„Mit dem Fahrrad um die Welt“ – das ist bis in die Gegenwart hinein ein Abenteuer geblieben. Wer danach „googelt“, kommt im deutschen Sprachraum auf eben einmal rund 500 Einträge. Dabei ist die Angelegenheit so neu nicht, wie sich auf diesem Weg schnell erfahren lässt: So radelte beispielsweise schon 1895 bis 1897 ein gewisser Heinrich Horstmann einmal um den Globus, fand anschließend für das Buch „Meine Radreise um die Welt“ auch einen Verleger.

Auf die Spuren solcher Globetrotter begeben sich mehr und mehr Velosophisten, freilich nach wie vor in überschaubarer Anzahl. Und wenn sie schon nicht in möglichst einem Rutsch die mindestens 42.000 Kilometer – der 2005 bei „Reise Know-how“ verlegte Peter Smolka brauchte 71.000 in vier Jahren – unter die Pedale nehmen, so doch wenigstens einmal im Jahr einen ordentlichen Abschnitt aus einer möglichen Welt-Tour.

So wie ein 56-Jähriger aus Gießener, der seine Brötchen als Statistiker bei der Universität verdient und meist nur dann „öffentlich“ wird, wenn die Ergebnislisten von Langstreckenläufen in der Zeitung stehen. Dann findet man ihn beispielsweise bei um die 40 Minuten über die Zehn-Kilometer-Distanz. Seine ganz großen Herausforderungen aber waren in den vergangenen zehn Jahren die Radtouren jenseits der Landesgrenzen – unter anderem zweimal in Australien, zweimal in Südostasien und seine sogenannte „Transsahara“: Von Malaga in Südspanien 4500 Kilometer weit bis nach Banjul in Gambia, später weiter nach Guinea-Bissau und nach Guinea – gleich neben Sierra-Leone, Liberia und der Elfenbeinküste in Westafrika.

Irgendwann hatte sich der alleinstehende Weltenbummler zu eigen gemacht, den Jahresurlaub dann zu nehmen, wenn die Kollegen hier gern verzichten – und wenn es in anderen Kontinenten grad das richtige Wetter ist für ausgedehnte Touren: Sechs Wochen am Stück, bevorzugt zwischen Allerheiligen und Weihnachten.

Ob nun die Tour zwischen Andalusien und Gambia so etwas wie die „Königsetappe“ gewesen sei, fragt der, der einst Walter Hamanns Bücher verschlang und heut schon stolz ist, wenn er es auf dem Rad zu einer Jahresleistung bringt, die gerade einmal zwei Drittel der beschriebenen Ferntour ausmacht. „Ach, so dramatisch ist das im Endeffekt auch nicht.“ Der Kontrast sei es, der hier für Spannung sorge, der Wechsel der Kulturen: Erst auf dem Maghreb der „Desert Blues“, dann, südlich von Mauretanien, das durchaus bunte, regelrecht lebensfrohe Schwarzafrika.

Auch von Selbsttherapie oder ähnlichen Erfahrungstripps will unser Mann nichts hören. „Klar, am Ende ist man nur noch allein zwischen Sand, Straße und Himmel.“ Wenn auf dem Straßenschild stehe „nächster Ort 350 km“, dann brauche man eben eine „mentale Eignung“ und die Bereitschaft zu Komfortverzicht. Er schläft meist im Zelt oder in preiswerten Herbergen, isst alles, was auf den Teller kommt. „Da würde mancher schreiend wegrennen“, meint er über das Gros der Ausdauersportler hierzulande urteilen zu können. Datteln Tajine – Reis oder Hirse mit Erdnusssauce, einheimische Infrastruktur

Seine Ausrüstung beschreibt der Gießener, der irgendwann einmal aus dem Siegerland hierher zugereist und sesshaft geworden war, ebenfalls mit einem Anflug von Understatement: Ein straßenfähiges Mountain-Bike mit 14-Gang-Rohloff-Schaltung, 26er Stahlrahmen aus der Manufaktur, Schwalbe-Marathon-Reifen. Gesamtwert: rund 2000 Euro. „Sehr solide, von guter Qualität, aber kein Schicki-Micki“!“ Den einen Plattfuß konnte er selbst flicken, kleine technische Probleme, etwa ein gerissenes Tachokabel, behoben ihm die im Improvisieren talentierten Mechaniker in Autowerkstätten.

Der Umfang des mitgeführten Gepäcks beziffert der Erzähler mit 15 bis 20 Kilogramm: „Nur wenig Gepäck ist gutes Gepäck!“ Drei T-shirts oder 30? Wer zwischendurch Kleidung wasche, dem reichten drei.

Wer die Reiseberichte des Gießeners hört oder liest, bekommt den Eindruck, dass hier einer noch auf die ganz große Herausforderung wartet, die vielleicht dann doch nur eine Weltumrundung sein kann – oder eine Tour bis ans Kap der guten Hoffnung!? Nach der Ankunft in Malaga am Flughafen um 9 Uhr 50 aufs Rad geschwungen und – inklusive 45 Minuten Überfahrt von Algeciras nach Ceuta, 135 Kilometer nach dem Start – am frühen Abend bereits auf marokkanischem Terrain. Über die Ausläufer des Rif-Gebirges VIA Tetouan westwärts an den Atlantik, „Casablanca-Crossing“ an einem Sonntagvormittag, einsam und allein durch die Spanisch Westsahara, „alhamdulilah“ auch in Mauretanien keinen Stress bekommen – nicht mal da, als er Nomaden-Frauen am Zelt fotografierte.

Immer Richtung Süden. Auf den Straßen kann man es mit ein wenig Rückenwind auf 200 Streckenkilometer pro Tag bringen. Aber 50 Kilometer auf einer sandigen unbefestigten Piste – „das sind gefühlte 500“

Mit Französisch und rudimentären Arabisch-Kenntnissen sowie dem obligatorischen Schul-Englisch kommt man in Westafrika gut zurecht.
BEGEGNUNGEN mit EINHEIMISCHEN - Gesprächsthemen Fussball und Musik, Suche nach Unterkünften und Verpflegung
Und eben mit „bon courage“: Der Mann hat keine Angst. Mit dem Fahrrad befinde man sich mit den Einheimischen „auf Augenhöhe“. Mehr noch: Hin und wieder wird der Gießener belächelt, weil man Afrika eigentlich davon ausgeht, dass sich Menschen aus dem wohlhabenden Europa zum Reisen doch in der Regel ein Auto nehmen. „Aus deren Sicht bin ich dann ein armer Sack!“ Auch eine Form von Reisegepäckversicherung…!

Mittlerweile hat unser reisender Ausdauersportler seine landes- und menschenkundlichen Westafrika-Kenntnisse vertieft: Der ersten 4500-km-Tour ab Malaga folgten 2006 und 2007 jeweils 3000er Schleifen durch das ehedem portugiesische Guinea-Bissau und durch Guinea, wo man, wie im Senegal, Französisch spricht. Da kennt er sich jetzt aus – und da ist er auch nicht zum letzten Mal gewesen. Aber nicht mal zu zweit reisen oder mit mehreren? Nein, eher nicht – „so muss ich mich nur über mich selbst ärgern“.

Wie der Mann heißt? „Ach“, sagt er, „daraus muss man kein Aufhebens machen.“ Da gebe es unter den Welten-Radlern „ganz andere Kaliber. Das, was ich mache, ist ja so extrem nicht.“ Nun ja, auf den Fotos wird man ihn womöglich erkennen, den Wolfgang Pabst.


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